Die sozialdemokratische Idee wird auch einen Thilo Sarrazin überleben

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Über Thilo Sarazzin habe ich mich vielfach geärgert, weil er polemisiert und polarisiert – vor allem dort, wo es kein Schwarz-Weiß gibt und dort, wo sachlicher Ausgleich oft hilfreicher wäre, als jede Schärfe. Lange vor seinem Buch habe ich mich über Äußerungen zu Beamten geärgert oder über seinen Versuch, Empfängerinnen und Empfängern von Arbeitslosengeld vorzurechnen, wie man sich auch mit wenig Geld ausgewogen ernähren kann.

„Deutschland schafft sich ab“ war letztlich eine Zusammenfassung kruder selbstgedeuteter Statistiken und vermeintlicher Beobachtungen, vieles nicht unrichtig, aber pauschalierend, falsche Konsequenzen ziehend und in Teilen diffamierend und beleidigend. Das Buch ist darüber hinaus stilistisch schlecht, ziemlich langweilig und mit einer Reihe von mehr oder weniger aussagekräftigen Grafiken und Tabellen als Füllmaterial mit Müh und Not über die 20-Euro-Verkaufspreis-Marke gedrückt worden.
Das Buch hat sich inzwischen mehr als 1,2 Millionen Mal verkauft und seinen Verfasser – wenn er es nicht schon vorher war – zum mehrfachen Millionär gemacht. Dabei hat die BILD-Zeitung kräftig geholfen und natürlich auch die mediale Omnipräsenz, die Sarrazin nur deshalb erreicht hat, weil er eben seit vielen Jahren eine SPD-Mitgliedschaft besitzt, über die er nicht zuletzt auch in politische Ämter gelangt ist, zuletzt eben als Finanzsenator in Berlin und am Ende sicher so auch in das Amt des Bundesbankers.

Die deutsche Sozialdemokratie kennt keine Gesinnungstests – und das ist auch gut so. Folglich entscheidet jede und jeder selbst, ob er oder sie der Partei angehören möchte. Und das Parteiengesetz stellt mit Recht hohe Anforderungen, wenn eine Partei ein ihr unlieb gewordenes Mitglied wieder ausschließen möchte.
Ich habe die Einleitung eines Parteiordnungsverfahrens gegen Thilo Sarrazin unterstützt. Ich bin der festen Überzeugung, dass er sich spätestens mit seinem Buch von sozialdemokratischen Grundüberzeugungen entfernt hat. Nicht, weil er politische Probleme auf dem Themenfeld der Integration anspricht. Aber weil aus seinem Buch deutlich wird, dass für ihn nicht alle Menschen gleich sind, dass für ihn nicht jeder die gleichen Chancen haben sollte. Weil für ihn manche Kinder mehr Wert sein sollen als andere.

Bereits mit der Eröffnung des Parteiordnungsverfahrens war aber klar, dass es nur einen Verlierer geben kann, nämlich die SPD. Ein Ausschluss von Thilo Sarrazin hätte zahlreiche Mitglieder zum Austritt bewegt, die seine Aussagen noch vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sehen. Wäre die Schiedskommission dagegen zum Urteil gekommen, Sarrazin dürfe in der SPD verbleiben, dann hätte dies ebenso die Austritte derer provoziert, die mit dem vermeintlichen Rassisten und Provokateur Sarrazin nicht in einer Partei verbleiben wollen.

Sarrazin hat von Anfang an betont, er wolle bis an sein Lebensende Mitglied der SPD bleiben. Ich lasse einmal dahin gestellt, ob die Partei für ihn tatsächlich eine Heimat ist oder ob er das Kürzel (SPD) hinter seinem Namen, dafür spricht manches, vor allem braucht, um medial interessant zu bleiben.
Mit einer Erklärung hat sich Thilo Sarrazin, sicher für viele überraschend, wieder auf die SPD zubewegt. Immerhin soweit, dass alle Antragssteller des Parteiordnungsverfahrens danach bereit waren, ihre Anträge zurück zu ziehen. Thilo Sarrazin wird sich an dieser Erklärung messen lassen müssen.

Für mich heißt Sozialdemokratie gemeinsame Sache machen. Deshalb kann ich all die nicht verstehen, die ihren Verbleib in der SPD vom (Wohl-)Verhalten anderer Personen abhängig machen. Ob gestern Wolfgang Clement, heute Thilo Sarrazin oder morgen Lieschen Müller: Mein Einsatz, meine Sympathie und mein Verbleib in der SPD sind doch nicht von denen abhängig, die absolute Minderheitenmeinungen innerhalb der SPD vertreten. Wer bin ich denn, wenn ich gerade solchen Leuten die Macht verleihe, letztlich über meine eigene Mitgliedschaft zu bestimmen?

Die SPD wird Thilo Sarrazin genauso überdauern, wie jedes einzelne Mitglied das jetzt wegen Sarrazin die Partei verlässt. Denn am Ende sind es nicht die Personen, sondern es ist die sozialdemokratische Idee, auf die es ankommt – und die ist nach wie vor aktuell.

2 Antworten

  1. Henning Tillmann
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    Lieber Dennis,

    danke für deinen Beitrag. Ich sehe das ähnlich. Ich verabscheue die Thesen von Sarrazin und wenn es nach mir ginge, hätte er in der Partei auch nichts mehr zu suchen. Dennoch halte ich einige Reaktionen für deutlich überzogen (v. a. die Parteiaustritte).

    Eine Ergänzung: Du schreibst „Die deutsche Sozialdemokratie kennt keine Gesinnungstests“. Das stimmt ja nicht ganz. Bevor jemand Mitglied in der SPD wird, muss der entsprechende Ortsverein schon entscheiden, ob er oder sie Mitglied werden darf. Diese gute alte Tradition nach der NS-Zeit mag zwar zu einem Formalismus verkommen sein; Sinn hat es aber schon.

  2. Olaf Schimanski
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    Lieber Dennis,

    Vielen Dank für Deinen Beitrag. Du hast vollkommen recht und dennoch ist es sehr frustrierent. Mich kann keine Erklärung Sarrazins dazu bewegen ihn wieder als Genossen zu bezeichnen, dazu hätte eine korrigierende Erklärung direkt den ersten Reaktionen erscheinen müssen (aber dann hätte er ja nicht so viel Geld verdient). Ich finde es schade, dass SPD Mitglieder nicht mehr automatisch Genossen sind und schlimm, dass der Parteiführung dies egal zu sein scheint. ABER die SPD wird auch diese Führung und diese Mitglieder überstehen, und deshalb bleibe ich dabei (wenn auch etwas demotiviert).

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