
Ich bin in Lübeck, ganz in der Nähe der damaligen innerdeutschen Grenze, aufgewachsen. Für meine Familie und für unsere Stadt war die Teilung Deutschlands nie etwas Abstraktes – sie war sichtbar, spürbar, alltäglich. Und deshalb war der 2. Dezember 1990, der Tag der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl, für mich als Dreizehnjährigen etwas Besonderes.
Ich erinnere mich an die Atmosphäre in der Stadt: eine Mischung aus Erwartung, Aufbruch und Unsicherheit. Noch ein Jahr zuvor hätten wir es uns nicht vorstellen können, dass die Menschen in Mecklenburg und Schleswig-Holstein am selben Tag denselben Bundestag wählen würden. Die Gespräche der Erwachsenen waren geprägt von Hoffnung – aber auch von Fragen. Wie würde dieses neue gemeinsame Land wirtschaftlich zusammenfinden? Würden die Versprechen der Einheit halten? Wie viel Veränderung würde auf uns zukommen?
In Lübeck war die Einheit unmittelbar sichtbar. Neue Gesichter, neue Geschichten, neue Nachbarinnen und Nachbarn. Plötzlich begegneten sich Menschen, die jahrzehntelang durch eine Grenze getrennt worden waren. Für mich als Jugendlichen war das beeindruckend. Ich konnte zwar noch nicht wählen, aber ich verstand, dass an diesem Tag etwas Historisches geschah.
Der Ausgang der Wahl war für mich damals zweitrangig. Viel wichtiger war das Gefühl, dass Deutschland zusammenrückt – und dass Demokratie bedeutet, Verantwortung zu teilen, auch in Zeiten großer Umbrüche. Dieser Tag hat mich geprägt. Er hat mir gezeigt, wie politische Entscheidungen das Leben von Menschen verändern können. Vielleicht war es auch einer der Gründe, warum ich später selbst politische Verantwortung übernehmen wollte.
Der 2. Dezember 1990 erinnert mich bis heute daran, dass Einheit nicht nur ein historisches Ereignis war, sondern ein fortlaufender Prozess – einer, den wir gemeinsam gestalten müssen.
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