Am 6. Juni 2025 feiern wir den 150. Geburtstag eines Mannes, der nicht nur zu den größten Schriftstellern der deutschen Sprache zählt, sondern auch zu den moralischen Stimmen des 20. Jahrhunderts: Thomas Mann, geboren in meiner Heimatstadt Lübeck, war weit mehr als ein Literat. Er war ein politischer Intellektueller, ein leidenschaftlicher Demokrat – und ein Europäer, lange bevor diese Haltung selbstverständlich war.
Für mich als Sozialdemokrat, der zwischen dem hanseatischen Norden und der Hauptstadt politisch lebt, ist Thomas Mann nicht bloß Teil unserer kulturellen Vergangenheit – er ist eine lebendige Erinnerung daran, wie notwendig es ist, sich einzumischen, Haltung zu zeigen und die Stimme zu erheben, wenn Freiheit und Humanität in Gefahr geraten.
Ein Sohn Lübecks – ein Spiegel des deutschen Bürgertums
Dass Thomas Mann in Lübeck geboren wurde, ist kein Zufall für sein Werk. Die hanseatische Bürgerlichkeit, der Stolz auf Kaufmannsehre, Bildung und Weltgewandtheit – all das prägt die Buddenbrooks, jenes frühe Meisterwerk, das ihn berühmt machte und 1929 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Als Lübecker erkenne ich in seinen Beschreibungen nicht nur Straßenzüge und Mentalitäten wieder – sondern auch eine Haltung: den Stolz auf eine weltoffene, gebildete, verantwortungsbewusste Gesellschaft.
Doch Mann blieb nicht beim Abbild stehen. Er blickte tiefer – erkannte die Risse im bürgerlichen Selbstverständnis, die Bedrohung durch Nationalismus und moralische Selbsttäuschung. Und er zog daraus Konsequenzen.
Vom Bürger zum Demokraten
Thomas Mann war nicht immer politisch. Doch als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, schwieg er nicht. Er emigrierte, erst in die Schweiz, dann in die USA – und wurde zu einem der klarsten deutschen Stimmen gegen Hitler. Seine Radioansprachen an das deutsche Volk waren mutig, weitsichtig – und sie waren notwendig. In einer dunklen Zeit bewahrte er das bessere, das demokratische Deutschland. Der Fischer-Verlag hat diese Ansprachen gerade neu veröffentlicht.
Für mich als Politiker in Berlin – der Stadt, in der Thomas Manns Werte nach dem Krieg in unserer Verfassung verankert wurden – ist sein Wandel vom konservativen Bürger zum engagierten Demokraten ein starkes Vorbild. Es zeigt: Demokratie ist kein Besitzstand – sie ist eine Haltung. Und sie erfordert Mut.
Kultur schützt die Demokratie
Thomas Mann hat nie Politik und Kultur getrennt. Er wusste, dass Bücher, Musik, Bildung nicht bloß Unterhaltung sind – sondern Schutzräume der Aufklärung. Besonders Der Zauberberg und Doktor Faustus sind Bücher, die zeigen, wie eng Kultur, Krankheit, Gesellschaft und Politik miteinander verwoben sind. Und sie zeigen auch: Wenn Kultur schweigt, wird die Demokratie schwächer.
Gerade in einer Stadt wie Berlin, wo Kultur, Politik und Gesellschaft täglich aufeinandertreffen, ist dieses Erbe zentral. Wenn wir heute in Ausschüssen, Schulen und Kultureinrichtungen über Teilhabe, über Erinnerungskultur und über Meinungsfreiheit sprechen, dann führen wir – bewusst oder unbewusst – Gespräche, die Thomas Mann vorbereitet hat.
Ein Geburtstag als Auftrag
Der 150. Geburtstag von Thomas Mann ist kein Denkmalstag. Er ist eine Erinnerung daran, dass auch große Geister mit Zweifeln ringen – aber Verantwortung übernehmen. Er ist eine Mahnung, nicht gleichgültig zu werden gegenüber der Geschichte. Und er ist ein Aufruf: Demokratie braucht Sprache. Haltung. Kultur.
Als Lübecker, als Berliner, als Sozialdemokrat verneige ich mich vor diesem großen Deutschen. Und ich hoffe, dass wir sein Erbe nicht nur in Museen pflegen – sondern in unserem Handeln.
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