
Heute möchte ich an eine Persönlichkeit erinnern, der vielen unbekannt sein dürfte, der jedoch seinen Platz in der Geschichte des letzten Jahrhunderts gefunden hat. Emil Julius Gumbel wurde 18. Juli 1891 in München geboren und verstarb am 10. September 1966 in New York.
Am 6. August 1932 verliert der jüdische Mathematiker und Statistiker seine Lehrerlaubnis an der Universität Heidelberg – ein symbolträchtiges Datum, das für den politischen Druck auf kritische Intellektuelle in der späten Weimarer Republik steht. Gumbel war zu dieser Zeit nicht nur ein angesehener Professor, sondern vor allem ein unbequemer Mahner, der das Schweigen über rechten Terror durchbrach.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs häufen sich in der Weimarer Republik politische Morde, vor allem durch rechtsradikale Gruppierungen. Während große Teile von Justiz und Medien die Täter schonen oder gar glorifizieren, beginnt Gumbel 1919 mit der systematischen Erfassung dieser Verbrechen. Seine Analyse kulminiert 1922 in dem erschütternden Buch „Vier Jahre politischer Mord“, das aufdeckt: Die deutsche Justiz verurteilt rechte Mörder kaum, während linke Straftäter mit maximaler Härte belangt werden.
Mit wissenschaftlicher Präzision und politischer Überzeugung bringt Gumbel damit ein Tabuthema auf den Tisch. Für Nationalkonservative, Burschenschaften und bald auch Nationalsozialisten wird er zur Hassfigur. Auf studentischen Veranstaltungen wird er diffamiert, seine Vorlesungen werden gestört, anonyme Drohungen häufen sich. Letztlich führt der politische Druck zur Entlassung durch das badische Kultusministerium – nicht etwa wegen wissenschaftlicher Mängel, sondern wegen seiner „politischen Gesinnung“.
1933 emigriert Gumbel nach Frankreich, verliert die deutsche Staatsbürgerschaft und lebt später in den USA. Er stirbt 1966 in New York – weitgehend vergessen von dem Land, dessen demokratische Werte er einst verteidigte. Erst Jahrzehnte später wird sein Wirken in Deutschland wiederentdeckt, unter anderem durch Gedenkinitiativen in Heidelberg.
Was wir von Gumbel lernen können – ein Blick in die Gegenwart
Gumbels Geschichte ist keine ferne Anekdote. Sie wirft ein grelles Licht auf heutige gesellschaftliche Entwicklungen. In einer Zeit, in der rechte Gewalt und autoritäres Denken in vielen westlichen Demokratien wieder an Boden gewinnen, ist Gumbels unermüdliche Arbeit gegen das Verschweigen und Bagatellisieren von politisch motivierter Gewalt hochaktuell.
Auch heute sehen wir eine Tendenz, rechten Terror zu verharmlosen oder zu relativieren. Die Aufdeckung rechter Netzwerke innerhalb von Polizei, Bundeswehr und Justiz, die Debatten um ungleich verfolgte Straftaten je nach politischer Motivation und der Hass gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Journalistinnen und Journalisten – all das erinnert an Gumbels Zeit. Die Parallelen sind nicht zufällig, sondern Ausdruck wiederkehrender gesellschaftlicher Muster.
Ein Appell an unsere Zeit
Julius Gumbel war ein Demokrat, der mit den Mitteln der Wissenschaft auf Missstände hinwies. Sein Mut, die Wahrheit auszusprechen – gegen den Strom, gegen die Mehrheit, gegen staatliche Repression – macht ihn zu einer Figur, an die wir gerade heute erinnern müssen.
Sein Schicksal mahnt uns, wachsam zu bleiben gegenüber struktureller Ungleichheit, politischer Gewalt und der Bedrohung der Wissenschaft durch ideologische Angriffe. Erinnern wir uns an Gumbel nicht nur als Opfer, sondern als Vorbild für eine streitbare, faktenbasierte Zivilgesellschaft.
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