Der Boulevard-Marktführer Bild fragt heute zu den Piraten „Verpeilte Spaß-Partei oder Piraten mit Kompass“. Seit nun gut einem halben Jahr sitze ich nun als Neuling für die SPD im Berliner Landesparlament mit einer neuen Kollegin und vierzehn Kollegen der „Piratenfraktion“ und suche nach einer Antwort auf genau diese Frage. Lustigerweise fragen auch aus meiner Familie und meinem Freundeskreis viele als erstes nach meinen Erfahrungen mit den Piraten, viel eher jedenfalls als nach parlamentarischen Abläufen oder bestimmten Themen. Und selbst in meinen Bürgersprechstunden wird regelmäßig nach den Piraten gefragt.
Daher mal einige Thesen zu den Piraten:
Das Versagen der etablierten Parteien hat ihren Erfolg erst ermöglicht.
Und das gilt längst nicht für ein generelles Versagen, sondern ausschließlich auf dem Gebiet der „Freiheit des Internets“. Es war Ursula von der Leyen, damals mit dem Spitznamen „Zensursula“ ausgestattet, die mit dem Sperren von Internetseiten eine Diskussion aufmachte, in der die SPD meinte, nur verlieren zu können – statt offensiv den Grundsatz „Löschen statt sperren“ z.B. im Fall von Kinderpornographie zu vertreten. Eine SPD, die Angst hatte, von der Bild-Zeitung Vorwürfe zu bekommen, man beförderte Kinderpornos, wenn man sich gegen das Sperren von Internetseiten wende. Aus Koalitionsräson wurde eine Position durchgezogen, die selbst die Unionsparteien inzwischen geräumt haben. Und das, obwohl aus der SPD nahezu alle Fachleute im Bereich der neuen Medien massiv gewarnt haben.
Die Piraten sind eine Hype-Partei.
Zur Wahrheit gehört: Ein Gutteil des Erfolgs der Piraten beruht ausschließlich darauf, dass die Partei größtmögliche mediale Unterstützung erhält. Noch sind die Piraten als neues Phänomen so interessant, dass sie hochgeschrieben werden. Das wird bis zur Bundestagswahl anhalten. Nach einem eventuellen Einzug in den Bundestag werden die Medien das Spiel mit Genuss umdrehen und künftig über die Schwächen berichten. Vieles wird sich dann relativieren.
Die Piraten sind eine Protestpartei.
Niemand wird es abstreiten. Bei den Piraten landen im Moment diejenigen, die mit den so genannten etablierten Parteien nichts anfangen können. Für mich nichts Schlechtes, denn in anderen europäischen Ländern landen solche Stimmen nicht selten bei Rechtsextremen und Nationalisten.
Die Piraten erwecken den Eindruck einer Spaßpartei.
Tatsächlich gehen die Piraten zumindest dem äußeren Anschein nach weniger verbissen zu Werke als andere Parteien. Nach allem was man aber aus den innerparteilichen Wahlkämpfen um Posten und Einfluss mit bekommt, trügt der äußere Anschein und das Gegenteil ist richtig. Es wird mit harten Bandagen gekämpft, öffentlich im Netz – und unter der Gürtellinie. Das merkt noch keiner, deshalb leidet der Ruf der Piraten noch nicht stark und das Interesse an den Piraten hält vor allem bei einer bestimmten Zielgruppe an.
Die Piraten sind auch eine Chance für die etablierten Parteien.
Der Erfolg der Piraten speist sich zu einem guten Teil aus erfolgreicher Aktivierung von Jung- und Erstwählern sowie aus dem Lager der Nichtwählerinnen und Nichtwähler. Sie wecken also auch Interesse an Politik. Das ist auch eine Chance für die etablierten Parteien mit diesen Gruppen ins Gespräch zu kommen. In keinem Wahlkampf sind von sich aus so viele junge Leute an meine SPD-Infostände gekommen, wie im Wahlkampf 2011. Und im persönlichen Gespräch lassen sich viele Argumente der Piraten leicht widerlegen.
Die Piraten sind nicht – und werden nicht – regierungsfähig.
Die Struktur der Piraten vertraut ihren eigenen Vertreterinnen und Vertretern in Vorständen aber auch in Parlamenten faktisch nicht. Sie erlaubt kein proaktives Reden und kein proaktives Handeln. Sie straft nicht zuletzt die freie Meinungsäußerung ab, dort wo keine tagesaktuellen und internetbasierten Mehrheitsmeinungen geäußert werden. Gerade die Übernahme von Regierungsverantwortung zwingt aber auch zu schnellen Entscheidungen, die mit den Piraten nicht möglich sind. Trotzdem üben die Piraten formell keinerlei Fraktionsdisziplin aus, ergo: bei nahezu allen Abstimmungen kommen aus den Reihen der Piraten sowohl Zustimmungen, als auch Ablehnungen als auch Enthaltungen. Damit sind sie kein verlässlicher Partner für Mehrheitsbündnisse und können zumindest im parlamentarischen Mehrheitssystem wie wir es kennen keine Regierungsverantwortung übernehmen.
Die Fraktionen der Piraten werden sich über kurz oder lang zerstreiten.
Eine der merkwürdigsten Beobachtungen in den Plenarsitzungen ist: Unter den Mitgliedern der Piratenfraktion gibt es kaum Kommunikation in der realen Welt. 15 Notebooks sind aufgeklappt, in nahezu alle Tastaturen wird ständig eingehackt, es wird gechattet, es wird getwittert und gefacebookt – vielleicht sogar miteinander. Aber einen Eindruck werde ich nicht los: Die Mitglieder der Fraktion haben wenig miteinander zu tun und ihnen fehlt ein ideologischer Überbau, ein Kompass – den andere Fraktionen in aller Regel haben und auch brauchen. Auch die Sozialdemokratie hat eine breite ideologische Spannweite, keine Frage. Aber sie hat verbindende Grundwerte und Grundüberzeugungen.
Was aber eine Partei bzw. Fraktion im Fall des Falles, in Grundsatzfragen zusammenhalten soll, die nicht nur unterschiedliche Charaktere sondern schon in vielen Sach-, erst Recht aber in vielen Grundsatzfragen völlig diametrale Meinungen hat, ist mir ein Rätsel.
Die Piraten werden politische Talente hervorbringen – für andere Parteien.
Ja, es gibt sie auch bei den Piraten. Frauen und Männer, die eine klare politische Linie vertreten, die sich vernünftig ausdrücken können, die bei Wählerinnen und Wählern ankommen, die fleißig sind und denen die parlamentarische Arbeit so viel Spaß macht, dass sie sie vielleicht sogar länger als eine Legislaturperiode ausüben wollen. Ich glaube, die „Basispiraten“ werden genau das hassen und diesen Typus im Internetvoting, nach dem die Listen aufgestellt werden, tendentiell durchfallen lassen.
Die Piraten sind längst nicht so untypisch, wie sie gern wären.
Das Schöne ist: Auch die Piraten bestehen aus ganz normalen Menschen. Auch bei den Piraten gibt es die Fleißigen und Faulen, die Pünktlichen und die Unpünktlichen, die Lauten und die Ruhigen, die Intelligenten und die weniger hellen Leuchten, freundliche und unauffällige Menschen aber auch geltungssüchtige und Arrogante. Manche sind vom Ehrgeiz getrieben, andere wie für die Hinterbank gemacht.
Viele Piraten haben aber einen Nachteil: Sie glauben, dass in den anderen Parteien keine ganz normalen Menschen sind und unterstellen, teilweise mit Unterstützung von Medien, jede und jeder, der nicht bei Ihnen Politik mache, sich nicht auf Meinungsbilder im Internet verlassen will und auf althergebrachte Kommunikation setze gehöre zu einem Establishment, das Politik im Wesentlichen mit die Ziel betreibe, nichts für die Menschen zu verbessern, sondern sich selbst zu bereichern.
Prognose: Die Piraten bleiben ein kurzzeitiges Phänomen des Zeitgeistes.
All dies führt mich zu dem Schluss, dass die Piraten in wenigen Jahren ihr eigentliches Ziel erreichen werden, sich selbst überflüssig zu machen. Ihr wesentliches Thema, in zwei Worten vielleicht als „digitale Demokratie“ zusammen gefasst, wird sich auch in den anderen Parteien nach und nach etablieren. Dann werden die Schwächen der Piraten sichtbarer, nämlich zu nahezu allen wirklich relevanten Fragen von Sozialstaat, Wirtschaft, Sicherheitspolitik etc. erstens keine Position zu haben und zweitens – wegen des fehlenden ideologischen Überbaus auch nicht wirklich eine Chance zu haben, mehrheitsfähige Positionen zu entwickeln. Das wird in heftigem Streit enden und nichts mag das deutsche Wahlvolk so wenig wie eine uneinige Partei.
Wenn es uns und ihnen bis dahin gelingt, die Demokratie ein bisschen digitaler zu machen, die Transparenz im politischen Handeln zu erhöhen, politische Vorgänge verständlicher zu machen und wieder mehr Menschen zu gewinnen, sich politisch und gesellschaftlich einzubringen, dann hätte das Phänomen der Piraten schon weit mehr gebracht als jede andere Form von Protestparteien. Dass dies möglicherweise nur mit dem Kollateralschaden extrem schwieriger Regierungsbildungen auf Landes- und Bundesebene gelingt, bleibt ein Wermutstropfen.
2 Antworten
Daniel Binder
Ich bereite mich gerade auf mein mündliches Abitur zur Piratenpartei vor, und bedanke mich für den vernünftigen Text. Auch wenn die Probleme möglicherweise tiefer liegen in der aktuellen Politik (viele der Piratenwähler sind Protestwähler, nicht nur nur Erst-, Nicht- und Jungwähler) – grundsätzlich die Piratenpartei meines Erachtens treffend analysiert!
Jörg Treftz
Guten Tag,
ich bin Mitglied der PiratenPartei. ich habe auch zu meinem richtigen Namen angegeben, denn ich steh zu dem was ich schreibe. Wir schaffen nichts. Wer hat den ACTA in die Öffentlichkeit kommuniziert. Wer hat den das Problem der Urheberrechts im Internet auf den Tisch gebracht (sicher bedarf es bei uns noch einiges an Einsicht, damit Künstler nicht verarmen)
Das war die PP. Wir sind die Internet Macht und das bleiben wir in den kommenden 10 Jahren auch.
Was Sie z.B zu unserer Arbeitsweise schreiben, ist -sorry- Unsinn. Unter der Gürtellinie, das sagt jemand, dessen PArtei so ihre besten Leute rausgejagt haben.
Sie haben verdammt viel Angst, das die Piraten mehr sind als nur eine Periode. Den Fehler hat die SPD schon mal gemacht. Bei den Grünen. Sie sind in einer Partei, die unter Schröder das Land an die Energie Unternehmen verkauft hat. 7 ehemalige Minister sind heute bei den Stromgiganten unter Vertrag. Schröder ist der grösste Gangster und Idiot (das sage ich ihm gerne ins Gesicht) den dieses Land je ertragen musste. Sie haben Politiker wie Gabriel, Steinbrück – der sich von Herrn Ackermann verarschen lies- Steinmeier, alle für Hartz Iv verantwortlich. Wir sind aus dem Protest entstanden, der sich gegen SPD FDP CD- + CSU stellen.
Sie haben allerdings auch Recht und zwar mit dem Einleitenden Satz, das ohne Kompass wir Problem haben werden. Aber wehe wir finden den weg und wehe euch allen, wen die PP es schafft mit einer Stimme zu sprechen. Den was vor allen die Merkels Gabriels Westerwelles usw nicht können ist menscheln. Alles wird über die Wirtschaft definiert Mehr Netto von Brutto. Ihr habt Politik dem genommen, dem sie gehört, Dem Volk.
Ich hoffe wir lernen uns bald mal kennen. Im Bundestag
MfG
JT